MAN NEHME:
Atemberaubende Kompositionen aus gestaffelten Ebenen. Überhöhe mit taktil ausgeführter Oberflächenstruktur. Mische kraftvolle Farbintensität hinzu. Und verbinde, garniere diese komplexe künstlerische Mixtur präzise mit der Formschönheit von „Sahnehauben“. Das aufsehenerregende Resultat: Fantastisch-absurde Silikonarbeitender Berliner Künstlerin Anke Eilergerhard. Eine artifizielle Rezeptur, mit weltweitem Alleinstellungsmerkmal.
Reizvolle Symbiose von trivial und absurd
„Alice im Wonderland“ ist ein erster Gedanke. Beim Anblick von Anke Eilergerhards märchenhaften Turmgebilden aus Tassen, Tellern, Kannen. Sofort berühren möchte man ihre ANNAS, wie sie die Werkreihe aus Porzellan und pigmentiertem Silikon betitelt. Auch die Assoziation zu pompöser „Zuckerbäcker-Kunst“ ist von der Künstlerin gewollt. Bereits zu Studienzeitentaucht das Torten-Motiv in ihren Werken auf. Und damit ein formales Interesse an einer Kunst des Schichtens und Mustererkennens. Dabei konkretisiert Eilergerhard ihr Faible fürs detailverliebte Sammeln zum überbordenden Bild: Auf reich verzierten Blumenstoffen setzt sie seinerzeit Schwarzwälder Kirsch-Torten haushoch in Szene. Verfolgt die Idee der Serie, spielt mit der Reizüberflutung des Betrachters. Humor markiert dabei einen wichtigen konzeptionellen Aspekt. Denn ihr künstlersches Credo lautet: „Eine Torte mit Sahnehaube ist ein Stück Himmel auf Erden“.
Satte Ausdruckskraft der Formgefüge
Eilergerhards Objekte führen ein eigenwilliges Leben. Sie kreisen, schwanken und winden sich. Auch die Werkreihe der WIRBELWINDE. Auf Scheiben bauen sich jene voluminösen Körper auf. Oder in anderen Serien an einem Gerüst aus Kugeln. Eine Daseins-Chiffre, die erkannt sein will: Als präzise formulierter und formierter Mikrokosmos der wiederholten Grundformen. Und als darauf ins Bombastische und Barocke wachsender Makrokosmos der Gestaltfindung. So ergießen sie sich als QUELLNYMPHE (2013) in den Raum oder markieren schlicht als Sanitärkeramiken pointierte Portionen „HIMMEL AUF ERDEN“.
Das appetitliche Tüpfelchen auf dem „I“
Mit dem Torten-Motiv rückt die Künstlerin die sinnliche Form der „Sahnehaube“ methodisch in ihren Schaffensfokus. Sie gibt Halt, verbindet, verschönert. Dabei macht das akzentuierte Nebeneinander auf einem mehrfachen Übereinander sichtbar: Hier hat sich eine Expertin das Material erarbeitet. Bis hin zu maschinell-aufgespritzt anmutender Perfektion. Dort spielt ein intelligenter Kopf Schicht für Schicht mit der sublimen Überlagerung von Wirklichkeitsebenen, überzeichnet gesellschaftliche Muster. Weil die Künstlerin Vertrautes verfremdet. Alltags-Kontexte „ver-rückt“ und einer vielfachen Doppelbödigkeit überführt. Dabei liefert Inspiration, Magazin und Showroom: der Kunst-Raum „Küche“.
Silikon: Zaubermittel und Dechiffrierungscode
Eilergerhards Kunstwerke drehen sich sinnfällig um das tänzerische Gleichgewicht von Volumen und Masse. Und türmen sich oft zu einem fragilen Balanceakt auf. Durch das Einsetzen von Silikon, als einem von der Schönheitschirurgie favorisierten Material, stilisiert die Künstlerin den Werkstoff zum eigenwilligen Ausdruckträger. So kreisen alle Werke um das Thema „Schönheit“. Und – somit um das pralle Leben. Lust, Liebe und Luxus. Aber auch um Maßlosigkeit und Täuschung. Scheinbar mühelos meistert die Künstlerin dabei den aufwändigen Gleichgewichts-Prozess von Umkippen-Wollen und Gegensteurung ihrer üppig dekorierten Formgefüge.
Die Funktionalisierung der Titel
Spannend: Eilergerhards Titelgebungen stilisieren die an sich abstrakten Objekte zur Figur. Erschaffen einzigartige Persönlichkeiten. Mit individuellen Botschaften. Die Werkreihe der „ANNAS“ spielt auf das ursprünglich Weibliche an. Alle Objekte kokettieren mit der Verniedlichung des Namens ANNA, die „Liebreizende“. Dabei spiegelt immer, gleich ob bei ANTINA oder ANNEKE, die tägliche Verschönerungsprozedur des weiblchen Geschlechts Eilergerhards eigenen Werkprozess der wiederholten Stapelarbeit und schnörkelhaften Kunst. Alle Skulpturen animieren zum Geschichten entdecken. Auch die vollbusige LOLA oder die vollschlanke LETIZIA. Es ist die Oberfläche, die verführt. Die immer noch eins draufgesetzt bekommt und draufsetzt. Und nie in Oberflächlichkeit erstarren darf. „Sonst bleibt alles Kindergeburtstag“ (Anke Eilergerhard). Sinn und Sinnlichkeit verborgen hinter einer schwungvollen Vielschichtigkeit und enormen haptischen Qualität.
Dr. Melanie Klier
MAN NEHME.
Katalogbeitrag:
Dr. Melanie Klier
EILERGERHARD. NEVER DYING FLOWERS.
Kunstverein Schwetzingen, Orangerie, Schloss Schwetzingen, 2015
MAN NEHME:
Atemberaubende Kompositionen aus gestaffelten Ebenen. Überhöhe mit taktil ausgeführter Oberflächenstruktur. Mische kraftvolle Farbintensität hinzu. Und verbinde, garniere diese komplexe künstlerische Mixtur präzise mit der Formschönheit von „Sahnehauben“. Das aufsehenerregende Resultat: Fantastisch-absurde Silikonarbeitender Berliner Künstlerin Anke Eilergerhard. Eine artifizielle Rezeptur, mit weltweitem Alleinstellungsmerkmal.
Reizvolle Symbiose von trivial und absurd
„Alice im Wonderland“ ist ein erster Gedanke. Beim Anblick von Anke Eilergerhards märchenhaften Turmgebilden aus Tassen, Tellern, Kannen. Sofort berühren möchte man ihre ANNAS, wie sie die Werkreihe aus Porzellan und pigmentiertem Silikon betitelt. Auch die Assoziation zu pompöser „Zuckerbäcker-Kunst“ ist von der Künstlerin gewollt. Bereits zu Studienzeitentaucht das Torten-Motiv in ihren Werken auf. Und damit ein formales Interesse an einer Kunst des Schichtens und Mustererkennens. Dabei konkretisiert Eilergerhard ihr Faible fürs detailverliebte Sammeln zum überbordenden Bild: Auf reich verzierten Blumenstoffen setzt sie seinerzeit Schwarzwälder Kirsch-Torten haushoch in Szene. Verfolgt die Idee der Serie, spielt mit der Reizüberflutung des Betrachters. Humor markiert dabei einen wichtigen konzeptionellen Aspekt. Denn ihr künstlersches Credo lautet: „Eine Torte mit Sahnehaube ist ein Stück Himmel auf Erden“.
Satte Ausdruckskraft der Formgefüge
Eilergerhards Objekte führen ein eigenwilliges Leben. Sie kreisen, schwanken und winden sich. Auch die Werkreihe der WIRBELWINDE. Auf Scheiben bauen sich jene voluminösen Körper auf. Oder in anderen Serien an einem Gerüst aus Kugeln. Eine Daseins-Chiffre, die erkannt sein will: Als präzise formulierter und formierter Mikrokosmos der wiederholten Grundformen. Und als darauf ins Bombastische und Barocke wachsender Makrokosmos der Gestaltfindung. So ergießen sie sich als QUELLNYMPHE (2013) in den Raum oder markieren schlicht als Sanitärkeramiken pointierte Portionen „HIMMEL AUF ERDEN“.
Das appetitliche Tüpfelchen auf dem „I“
Mit dem Torten-Motiv rückt die Künstlerin die sinnliche Form der „Sahnehaube“ methodisch in ihren Schaffensfokus. Sie gibt Halt, verbindet, verschönert. Dabei macht das akzentuierte Nebeneinander auf einem mehrfachen Übereinander sichtbar: Hier hat sich eine Expertin das Material erarbeitet. Bis hin zu maschinell-aufgespritzt anmutender Perfektion. Dort spielt ein intelligenter Kopf Schicht für Schicht mit der sublimen Überlagerung von Wirklichkeitsebenen, überzeichnet gesellschaftliche Muster. Weil die Künstlerin Vertrautes verfremdet. Alltags-Kontexte „ver-rückt“ und einer vielfachen Doppelbödigkeit überführt. Dabei liefert Inspiration, Magazin und Showroom: der Kunst-Raum „Küche“.
Silikon: Zaubermittel und Dechiffrierungscode
Eilergerhards Kunstwerke drehen sich sinnfällig um das tänzerische Gleichgewicht von Volumen und Masse. Und türmen sich oft zu einem fragilen Balanceakt auf. Durch das Einsetzen von Silikon, als einem von der Schönheitschirurgie favorisierten Material, stilisiert die Künstlerin den Werkstoff zum eigenwilligen Ausdruckträger. So kreisen alle Werke um das Thema „Schönheit“. Und – somit um das pralle Leben. Lust, Liebe und Luxus. Aber auch um Maßlosigkeit und Täuschung. Scheinbar mühelos meistert die Künstlerin dabei den aufwändigen Gleichgewichts-Prozess von Umkippen-Wollen und Gegensteurung ihrer üppig dekorierten Formgefüge.
Die Funktionalisierung der Titel
Spannend: Eilergerhards Titelgebungen stilisieren die an sich abstrakten Objekte zur Figur. Erschaffen einzigartige Persönlichkeiten. Mit individuellen Botschaften. Die Werkreihe der „ANNAS“ spielt auf das ursprünglich Weibliche an. Alle Objekte kokettieren mit der Verniedlichung des Namens ANNA, die „Liebreizende“. Dabei spiegelt immer, gleich ob bei ANTINA oder ANNEKE, die tägliche Verschönerungsprozedur des weiblchen Geschlechts Eilergerhards eigenen Werkprozess der wiederholten Stapelarbeit und schnörkelhaften Kunst. Alle Skulpturen animieren zum Geschichten entdecken. Auch die vollbusige LOLA oder die vollschlanke LETIZIA. Es ist die Oberfläche, die verführt. Die immer noch eins draufgesetzt bekommt und draufsetzt. Und nie in Oberflächlichkeit erstarren darf. „Sonst bleibt alles Kindergeburtstag“ (Anke Eilergerhard). Sinn und Sinnlichkeit verborgen hinter einer schwungvollen Vielschichtigkeit und enormen haptischen Qualität.
Dr. Melanie Klier
MAN NEHME.
Katalogbeitrag:
Dr. Melanie Klier
EILERGERHARD. NEVER DYING FLOWERS.
Kunstverein Schwetzingen, Orangerie, Schloss Schwetzingen, 2015